Ich liebe kuriose Konzerte und kuriose Locations. Das Cargo ist ein altes Lastschiff, das fest vertäut im Lübecker Klughafen neben der Altstadt liegt und in der Regel für Firmen- und Familienfeiern sowie als Dancefloor dient. Von einem Konzert auf dem Schiff hörte ich zum ersten Mal und dann auch noch mit Eisregen eine nicht unumstrittene Thüringer Dark-Metal Band. Details zur Bandgeschichte spare ich mir, dafür gibt es schließlich Wikipedia.
Bislang ging bei der Musik von Eisregen bei mir der Begeisterungspegel nicht unbedingt nach oben. Das am 13. Januar erschienene Album Grenzgänger änderte dieses jedoch. So finden wir uns früh in Lübeck ein, um die Location ein wenig auf uns wirken zu lassen, bevor es richtig abgeht. Die Zuschauerzahl ist auf 250 limitiert. Bis auf wenige Rückläufer sind alle Tickets verkauft. Es war davon auszugehen, dass auch diese Tickets noch Abnehmer finden werden.
Im Support sind heute zwei Hamburger Bands. Während Das Letzte Lager ein Death-Metal-Duo nur aus Gitarre und Schlagzeug ist, ist Terra Atlantica ein Power-Metal-Quartett, auf das ich mich besonders freue. Einlass auf das Schiff ist bereits um 18 Uhr. Es verspricht, ein langer Konzertabend zu werden.
Nach Einlass kommen wir noch nicht in den oberen Laderaum. Der Soundcheck von Das Letzte Lager verzögert sich und ist noch in vollem Gange. So nehmen wir noch ein Kaltgetränk im unteren Laderaum, in dem sich neben der Bar auch die Merchstände und die Toiletten befinden. Über der Bar ist eine große Leinwand angebracht, auf der man dem Treiben auf der Bühne zusehen kann.
Das Letzte Lager
2019 fanden sich die beiden Hamburger, Multiinstrumentalist Frost und Schlagzeuger InXen, zusammen. Sie bilden die deutschsprachige Death-Metal-Band Das Letzte Lager. Im vergangenen Jahr veröffentlichten sie dann ihr Debütalbum WürgeEngel. Ihr musikalischer Stil verbindet Eingängigkeit mit druckvoller Härte und schwerer Atmosphäre. Da der Soundcheck erst um 18:30 beendet war, verzögert sich auch der Auftritt des Duos um zehn Minuten. Der Laderaum ist schon überraschend gut gefüllt. Grablichter zieren als einzige Dekoration die Bühne. Von den neun Songs des Albums bekommen wir heute acht in anderer Reihenfolge zu hören. Nur das kurze Intro Der Stumme Tod Und Das Leben wird eingespart. In den Texten verarbeitet Frost seine persönlichen Erfahrungen mit dem Leben. Die schonungslose Härte ihrer Musik macht Drummer InXen scheinbar nichts aus. 35 Minuten bearbeitet er sein Drumset trotzdem mit viel Einfühlungsvermögen und Präzision. Frost hat sich zwei Mikros aufgebaut. So wechselt er häufiger die Seite, die Fans freut es. So bekommen sie etwas mehr von der Show mit.
Terra Atlantica
Terra Atlantica wurden bereits 2014 von Sänger Tristan Harder und Schlagzeuger Nico Hauschildt in Hamburg gegründet. Nach einigen Personalwechseln stehen sie heute mit Julian Prüfer am Bass und Dawid Wieczorek an der Gitarre auf der Bühne. Im Stil ihrer Idole wie Edguy oder Avantasia spielen sie klassischen Power Metal. Ihre Texte handeln über die Saga von Atlantis und anderen nautischen Themen. Während der Pandemie haben Terra Atlantica bereits ihr drittes Album Beyond The Borders aufgenommen, das im August letzten Jahres veröffentlicht wurde. Nach diesem Supportgig gehen sie im Frühjahr gemeinsam mit Victorius und Grailknights auf große Deutschlandtour.
Eine halbe Stunde Umbau muss sein. Um 20:15 Uhr beginnen dann die „Fremdkörper“ von Terra Atlantica. Fremdkörper deshalb, weil ihr musikalischer Stil so gar nicht zu Das Letzte Lager und Eisregen passt. Dem Publikum ist es egal, das feiert das ein 50-Minuten-Set ab. Wie nahezu überall haben sie auch eigene Fans dabei, die in den ersten Reihen die Post abgehen lassen. Die handgeschriebene Setliste in einen Decken-Stahlträger geklemmt, spielt das Quartett fünf Songs des neuen Werkes, gemischt mit vier Songs der beiden anderen Alben. Eingängige Refrains und mehrstimmige Passagen prägen ihren Power-Metal.
Eisregen
8 Jahre und 16 Alben brauchte die thüringische Truppe, um bei mir zu landen. Das Album Grenzgänger erreichte dabei nicht nur mich, sondern platzierte sich auf Platz 6 der deutschen Charts. Das ist umso bedeutsamer, als dass die Truppe ja immer wieder Schwierigkeiten mit Indizierungen der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien gehabt hat. Vier Alben (2003 Krebskolonie, 2004 Farbenfinsternis, 2007 Wundwasser, 2011 Fleischfestival) stehen derzeit noch auf dem Index.
Ohne viel Aufhebens kommen die Vier der jetzigen Besetzung in Bundeswehrklamotten auf die Bühne. Die Gründungsmitglieder Michael „Blutkehle“ Roth am Mikro sowie Schlagzeuger Ronny „Yantit“ Fimmel stehen heute mit „El Hoppelo“ an der Gitarre sowie „El Loco“ am Bass auf der Bühne. Diese Besetzung existiert nun auch schon seit 2017. Im Gepäck natürlich Songs des neuen Albums, die sich aber in eine ganze Reihe Stücke aus der langjährigen Geschichte der Band einreihen müssen. Drei indizierte Songswerden in dem Medley 13 Russische Krebsschweine verarbeitet. Ist das Lübecker Publikum erst noch verhalten, ändert sich das kurz vor dem Ende des regulären Sets schlagartig. Zum Song Menschenfresser, angekündigt mit „Ja, es ist unanständig, seine Oma aufzuessen. Das macht man einfach nicht“, tanzt die Menge durchgängig einen Sirtaki. Spätestens bei den Zugaben wird es dann eng in den vorderen Reihen. Begleitet von immer lauter werdenden „Eisregen, Eisregen„-Rufen werden die drei letzten Songs Alice Im Wundenland, Panzerschokolade und natürlich Elektro Hexe lautstark mitgesungen. Nach 85 Minuten ist dann dieser Gig beendet. Zehn Minuten vor Ultimo werden wir in die frostige Lübecker Nacht entlassen.
Konzert Fazit
Ein perfektes Konzerterlebnis, das nach Wiederholung schreit. Bericht: Norbert Czybulka